Herr Doktor, ich habe Bandscheibe


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In vielen Köpfen bedeutet ein Bandscheibenvorfall das Ende jeder Lebensqualität. Bei den meisten Versicherungsgesellschaften soll ein Bandscheibenleiben wenn möglich erst gar nicht versichert werden. In Krankenhäusern werden akute Schmerzpatienten am Wochenende mangels Personal und diagnostischer Möglichkeiten oft ins Bett gelegt, strenge Bettruhe wird angeordnet und die Patienten werden mit großzügiger Schmerzmittelgabe ruhiggestellt.

Genau diese Einschätzung ist in den meisten Fällen aber grundverkehrt. In unserer orthopädischen Praxis würden wir ganz anders vorgehen. 


 

Ursache – Warum habe ich Bandscheibe?

Der Mensch ist die einzige Säugetierklasse mit einer doppelt s-förmig gekrümmten Wirbelsäule (Abbildung 1). Diese entwickelt sich aus einer zunächst einfach gebogenen Formation (Abbildung 2) als Säugling mit zunehmender Lastaufnahme in die Senkrechte.


Abb. 1: Modell doppelt s-förmig


Abb. 2: Modell einfach gebogen

Der aufrechte Gang hat abhängig von Körpergewicht, Rumpfmuskulatur und augenblicklicher Belastung eine fortwährende Belastung der Wirbelkörperhinterkanten zur Folge. Zwischen den Wirbelkörpern haben die Bandscheiben als Platzhalter, elastischer Puffer, Nahrungsreservoire, Wasserspeicher und Bewegungsvermittler eine undankbare Position in einer Art Dauerpresse. Deckel und Boden der darunter und darüber liegenden Wirbelkörpermassive drücken dauerhaft auf die Bandscheiben und quetschen sie in bestimmten Situationen so sehr, dass diese Anteile der Bandscheibe die Gesamtformation verlassen und in den Rückenmarkskanal (Spinalkanal) oder das Nervenloch (Neuroforamen) treten können.

In den meisten Fällen registriert der in der Nähe befindliche Nerv den Austritt von Bandscheibenmaterial und weicht diesem aus. Der „Bandscheibenabraum“ kann ungehindert in das Nervenloch oder den Rückenmarkskanal rutschen und wird durch Bewegung, enzymatische Vorgänge und Spülung des umgebenden Hirnwassers (Liquor) auf natürlichem Wege abgebaut. In diesem Fall müssen Sie meine Hilfe als Ihr Orthopäde nicht in Anspruch nehmen

 

Symptome – Wie fühlt sich Bandscheibe an?

Schicksalhaft kann es bei Kontakt zwischen Nervenwurzel und Bandscheibe aber genauso zur Schmerzentwicklung kommen. Die Charakteristik des Wurzelkontaktes ist dabei ausgesprochen vielfältig. Es kann zu einer dumpfen Schmerzausprägung mit massiver Bewegungseinschränkung ohne jegliche Ausstrahlung kommen. Möglich sind stechende, kribbelnde oder Taubheit auslösende Schmerzen, die in den Arm bis zu den Langfingern oder in das Bein bis zu den Zehen ziehen können. Das Auftreten von Lähmungserscheinungen kann ebenso vorkommen wie Koordinationsprobleme beim Greifen oder Gehen. Das plötzliche Wegsacken eines Beines bei Lastaufnahme wird ebenso beschrieben wie der Verlust jeglichen Gefühls im Arm oder Bein. In einer solchen, durchaus nachvollziehbar beunruhigenden Situation sollten Sie zeitnah Kontakt mit Ihrem Orthopäden aufnehmen.

   

Wer untersucht Bandscheibe?

Der versierte Orthopäde kann durch Funktionstests, Reflexprüfung und Prüfen der Kraft bereits mit Reflexhammer und Untersuchungsliege recht schnell eine treffsichere Diagnose stellen. Dennoch dauert es immer wieder unnötig lange, bis die richtige ärztliche Einschätzung vorliegt. Die Problematik rührt aus dem einfachen Umstand, dass etwa 95 Prozent der Nacken- und Rückenschmerzattacken harmloser Natur sind und fast immer durch Bewegung jeglicher Art innerhalb weniger Tage ohne jede weitere orthopädische Therapie verschwinden.

Wenn Schmerzen in der Nacken- oder Lendenregion in Arm oder Bein ausstrahlen, sollten Sie den Orthopäden Ihres Vertrauens aufsuchen. Wenn Sie Lähmungserscheinungen oder eine Kraftminderung im Fersen- oder Hackenstand bemerken, vereinbaren Sie zeitnah einen Termin in unserer fachärztlichen orthopädischen Sprechstunde.

Ein positiver Nervendehnungsschmerz lässt sich nachweisen, wenn der Orthopäde das ausgestreckte vollständig entspannte Bein anhebt. Der betroffene Patient darf bei dem Manöver nicht mithelfen. Wenn reproduzierbar ein Schmerz zwischen null und 60 Grad Beugung im Hüftgelenk ausgelöst werden kann, greifen Sie zum Telefon!

 

Wie wird ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert?

Ein Bandscheibenvorfall kann zu Ausstrahlungen in Arm oder Bein führen, deren Verlauf so charakteristisch beschrieben wird, dass sich allein anhand der Schilderung die betroffene Etage bereits präzise einschätzen lässt. Bei der Vielfalt der denkbaren Beschwerden wird allerdings häufig eine bildgebende Diagnostik erforderlich. Ein Röntgenbild möglichst im Stehen gefertigt liefert wertvolle Hinweise auf Krümmungsverhältnisse, Durchmesser des Rückenmarkkanales, Höhe der Bandscheibenfächer und Größe der Nervenlöcher.

Die Computertomografie (CT) kann einen Bandscheibenvorfall zeigen, erzeugt die Schnittbildtechnik aber mittels Röntgenstrahlung. Bei liegendem Herzschrittmacher muss dieses Verfahren in den meisten Fällen dennoch eingesetzt werden. Der Vorteil liegt in der kurzen Untersuchungsdauer und der guten Verfügbarkeit.

Die Kernspintomografie (MRT, MRA, MRI, NMR) bildet weichteilige Veränderungen an Bandscheiben, Wirbelgelenken, dem Spinalkanal und den Nervenlöchern ausgesprochen präzise und obendrein nebenwirkungsfrei (Abbildung 3, Abbildung 4) ab und sollte daher vorrangig angewandt werden. Die zu betrachtenden Bilder werden durch Anlegen eines Magnetfeldes generiert. Je nach Wohnort kann die Wartezeit auf einen Untersuchungstermin mehrere Wochen betragen. Platzangstpatienten scheuen nicht selten die Messdauer von etwa 20 Minuten.


Abb. 3, 4: große Bandscheibenvorfälle in der Lendenwirbelsäulenregion sagital (von vorne nach hinten) und transversal (senkrecht zur Längsachse)

 

Muss ein Bandscheibenvorfall operiert werden?

Seit 2009 haben die Bandscheibenoperationen in Deutschland um etwa 40 Prozent zugenommen. Diese ungewöhnliche Fallzahlsteigerung lässt sich aus der demografischen Entwicklung keinesfalls nachvollziehen. Entsprechend zurückhaltend sollte die Indikation zur Operation von Ihrem Orthopäden gestellt werden. Fast immer kann durch kombiniertes Vorgehen schonender minimalinvasiver interventioneller Verfahren und physiotherapeutischer Behandlung rasch eine drastische Beschwerdelinderung erzielt werden. Nur selten kommt es dabei zur Arbeitsunfähigkeit. Die minimalinvasiven Techniken an der Wirbelsäule erfordern beim behandelnden Orthopäden ein hohes Maß an Erfahrung und eine entsprechende technische Ausstattung (Vorgehen unter C-Bogen-Sicht mit Bildverstärker, spezieller Lagerungstisch erforderlich).

 

Warum keine Operation?

Im Laufe unseres Lebens haben wir 80 bis 100 Bandscheibenvorfälle. Geben Sie zu, die meisten oder gar alle davon haben Sie gar nicht bemerkt! Immer wieder belegen Reihenuntersuchungen an verschiedenen Berufsgruppen in verschiedenen Altersklassen unbemerkte Bandscheibenvorfälle an Hals- und Lendenwirbelsäule. Wenn wir als Betroffene also nur die wenigsten dieser vielen Bandscheibenvorfälle bemerken, warum kommt dann eine Operation in Betracht?

Ziel der orthopädischen Behandlung muss es sein, einen schmerzhaften Bandscheibenvorfall möglichst schnell wieder unbemerkt zu machen.

Durch Umspülen der betroffenen Nervenwurzel unter Sicht wird die Nervenwurzel glatter, verändert ihre Oberflächenspannung, schwillt ab und kann sich im Nervenloch aktiv wieder an eine Stelle positionieren, wo sie mit der Bandscheibe nicht um den verbliebenen Platz konkurriert. Daraus resultiert rasche Beschwerdefreiheit bei möglichst schonendem Vorgehen.

Dieses Verfahren wird in der Orthopädie ambulant durchgeführt. Betroffene Patienten können danach Auto fahren, Sport treiben und sind im Alltag nicht beeinträchtigt.

In unserer Praxis wird die operationsersetzende Technik der Nervenwurzelumspülung (MISS minimal invasive spine surgery) beim Bandscheibenvorfall, der spinalen Stenose und bei Gleitwirbelsituation seit 2006 mit großem Erfolg zur Anwendung gebracht und kann fast immer einen operativen Eingriff vermeiden helfen (Abbildung 5, Abbildung 6).


Abb. 5, 6: Gewebeschonende minimalinvasive Therapie an der Wirbelsäule unter Sicht